„Nein, die Charakteristik des Winters war nicht kalt. Sie war nass.“ Wir stehen auf dem Platz am „Η ΠΟΥΝΤΑ“ vor seinem Lokal auf der ehemals schönsten Bushaltestelle der Welt und schauen über das Meer.
Wow. Die Charakteristik des Winters war also nass. Bis jetzt hatte ich nicht gewusst, dass der Winter eine Charakteristik hat. Jeder normale Mensch hätte gesagt: „Der Winter war arschkalt!“ Oder
„Der Winter war arschnass!“. Aber er ist nicht normal. Und alles was er sagt, hat Hand und Fuß. Deshalb mag ich ihn sehr. In meinen Augen ist Takis ein griechischer Philosoph.
Wie Lisbet, seine Frau mir später sagt, gibt es leider im „Η ΠΟΥΝΤΑ“ ab jetzt kein Abendessen mehr, nur Frühstück und Lunch, man habe sich von der Inselverwaltung aus beschwert, die Küche läge zu
nah an der Kirche, es wäre zu laut. Aber Cocktails am Abend wären erlaubt. Ab jetzt also Cocktailbar. Und die junge Generation übernimmt das Ruder. Und teure Cocktails sind ja auch genauso
lukrativ wie gute Menüs. Im Gegenteil, der Materialaufwand und die Arbeit rechnen sich nicht.
Wir sind am Vortag von Piräus mit dem Seajet2 gekommen, morgens um Sieben legte er am Gate 9 ab. Die Nacht war kurz, ein Abend im Rakadiko in Piräus immer ganz nett, obwohl, das Personal und die Karte waren neu, gewöhnungsbedürftig. Immerhin, in viereinhalb Stunden sind wir auf Folegandros, das hat zu Beginn unserer Reisen schon mal locker 12 Stündchen auf den alten Pötten gedauert.
Also, nicht meckern. Noch hat die letzte Maiwoche gerade begonnen, aber viele Unterkünfte sind schon gut besucht, was nicht der Jahreszeit geschuldet zu sein scheint, sondern einer britischen
Gesellschaft, die eine Art Hochzeitsfeier auf der Insel geplant hat, und, ich sage mal mindestens 30 Zimmer im Ort belegt.
Ja, auch Folegandros ist – wie Santorin – ein Hotspot von Hochzeiten geworden. Und wo es früher ein Ereignis war, dass ein Paar von der Insel sich das Jawort gab, kommen heute die Leute aus
England, ja sogar aus Australien, um hier ihre Hochzeit zu feiern. Die Einheimischen sehen es mit gemischten Gefühlen. Gut, es bringt natürlich auch Kohle rein.
Ein Streifzug durch das alte Kastro Viertel zeigt, die Alten sterben langsam aus. Wo früher noch der ein oder andere Besen vor der Tür stand, herrscht heute gähnende Leere. Ein paar Alte füttern noch ihre Katzen, aber es ist eine Frage der Zeit, wann die Schickimickiwelt mit ihren Boutiquen hier Einzug halten wird. Ein paar Häuser sind ja schon als Feriendomizile renoviert worden, Vieles steht leer. Dabei wäre das Kastro von Folegandros aus meiner Sicht ein Weltkulturerbe.
Außer den rummeligen Hochzeitsparties ist im Ort noch nicht viel los, manche Lokale öffnen erst gerade, wir wandern in die Landschaft und staunen über das üppige Grün, die vielen Blüten. So haben wir die Kykladen im Mai noch nie gesehen, die Charakteristik des Winters war halt nass.
Wir genießen das fast schon warme Meer in der traumhaft leeren Vardia Buch.
Die Sonnenuntergänge sind mindestens genauso schön wie auf Santorin. Wir kehren ein im To Spitiko und denken mal wieder an alte Zeiten.
Früher dachten wir, wir säßen hier am Ende der Welt verloren irgendwo auf den Kykladen in einer vergessenen Taverne. Heute zücken wir unser Smartphone und wissen, ein Ende der Welt gibt es nicht mehr.