Es war schon eine andere Zeit, als wir früher von Piräus aus auf den langsamen Pötten nach mehr als zwölf Stunden die Insel erreichten, und wir uns immer wieder fragten, warum es nicht auch hier
diese Tragflächenboote gibt, die die Strecke in nur vier Stunden absolvieren könnten, so sitzen wir heute ganz bequem im Seajet2, lassen Sifnos, Milos und Ios nur so an uns vorbei rauschen, und
sind schon um elf Uhr vormittags da. Natürlich ist es ein anderes Erlebnis, als sich an Deck der Adamantios Korais den Ägäiswind um die Nase wehen zu lassen, aber so schlimm wie oftmals
beschrieben ist die Fahrt der Schnellfähre bei ruhiger See nun wirklich nicht, immer noch besser als im engen Flugzeug zu sitzen. Man läuft umher, die Versorgung an den Bordbars ist recht gut,
das Personal freundlich. Nur teuer ist es leider.
Und das ist wohl der größte Unterschied zu damals, denn auch auf einer Kykladenreise heißt es heute: Zeit ist Geld.
Es ist irgendwie so, als kämen wir nach Hause, wir kennen die Insel wie unsere Westentasche, obwohl wir gar keine Weste haben. Die Begrüßung ist wie immer sehr herzlich, man kennt sich, man
schätzt sich, erkundigt sich nach der Familie, den Kindern, alles ist gut. Nur voller als sonst im September sei es, eine so gute Saison wie dieses Jahr habe es noch nie gegeben, bis Ende
September sei er ausgebucht, sagt unser Wirt Kostas. Das liegt wohl hauptsächlich an den sehr guten Fährverbindungen, denn seit der Seajet2 und der Superjet täglich zweimal die Insel anfahren,
und auch noch andere Fähren wie Aqua Jewel und Adamantios Korais kommen, ist viel los hier. Und ich frage mich, wer um Himmels Willen die Fährgesellschaften wohl überredet hat, an dieser kleinen
Insel so oft anzulegen, und ob es vielleicht nicht auch jemanden auf Anafi geben könnte, der das mal versuchen sollte. Zu gönnen wäre es der Bevölkerung. Seit Jahren träumen die Wirte dort von
einer Schnellfähre.
Wir jedenfalls starten unsere Runde durchs Dorf, und merken gleich:
Folegandros ist spürbar bunter.
Während mir sonst oft die blau-weißen Farben ins Kameraobjektiv springen, lockt hier Vieles: „Knips mich, ich bin doch so schön bunt!“ Die Tavernenstühle strahlen schon mal knallrot, die Wäsche
auf den Leinen farbiger, die Kleider der Hochzeitsgesellschaft lebhafter, und auch der obligatorische Griechische Salat im Araxe bei Stratos leuchtet etwas kräftiger als anderswo, ebenso wie
unser erster Sonnenuntergang über Chora. Oder ich bilde es mir nur ein.
Folegandros ist spürbar lebhafter.
Das mag vielleicht daran liegen, dass der Hauptort Chora selbst nicht sehr groß ist, jedoch inzwischen über etliche Pensionen verfügt, die sich wie ein Ring in den letzten Jahren um den Ort
angesiedelt haben. So strömen die Gäste abends auf die vier Hauptplätze mit ihren Restaurants, alle gut besucht, von unterschiedlicher Qualität, aber alle gemütlich, denn jeder Wirt muss sich an
die Vorgabe halten: kein Plastik! Keine Plastikstühle, keine Plastiktische. Alles sehr kykladisch. Manche finden das zu puppenstubenhaft, ich finde es eher traditionell authentisch, und auch den
meisten anderen Gästen gefällt es. Unsere drei Lieblingsrestaurants, das Chic von Uta und Dimitris, das schöne Gartenlokal I Pounta von Takis und Lisbet, und das Araxe von Stratos auf der ersten
Paltia sind gut besucht, aber überall wäre noch ein Tisch zu haben. Das sonst so beliebte Restaurant O Kritikos ist dieses Jahr geschlossen, so dass es auf der dritten Platia beim Chic jetzt
etwas ruhiger zugeht, was wohl auch Utas Hauskatze gefällt, sie ist offenbar an ihrem Stammplatz in einen Dauerschlaf gefallen.
Folegandros ist spürbar geiler.
Takis vom I Pounta empfiehlt uns heute zur Feier des Tages Thunfisch Carpaccio, und auch Carpaccio vom Naxosrind, Zucchini Keftedes mit Tzaziki, gefüllte Artischocken und Kaninchenstifado in
roter Sauce, danach einen griechischen Kaffee mit Metaxa, die Apfelspalten gehen aufs Haus. Da kann ich nicht umhin, ihn zum Schluss zu loben: alles war „telia“, was so viel wie "perfekt" heißt,
worauf er nur verwundert lachend die Augen verdreht : „Telia, telia, ich kann es nicht mehr hören! Alle sagen heute telia. Ein typisches Modewort. Letztes Jahr sagten alle unbelievable, heute
sagen alle telia. Meine Tochter saß letztens auf dem Sofa, ihr Freund kam dazu, da meinte meine Tochter: ich bin so müde, ich kann nicht mehr. Ihr Freund schaute sie verklärt an und meite nur:
telia. Was soll das, was meint der?“ Nun ich vermute, ich weiß was das soll. Telia ist auf Folegandros das neue „geil“. Alles ist gut hier, alles super, wir würden einfach sagen: „Man, ist
das geil hier“ wenn wir etwas hipper wären. Aber für uns reicht es nur zu einem Absacker im Lotsia, wo es aber wenigstens noch ein geiles Heineken gibt, eines der letzten auf den Kykladen, denn
diese Biermarke scheint hier langsam auszusterben.
Folegandros ist spürbar ursprünglicher.
Es stimmt schon, die Pooldichte auf Folegandros ist immer noch deutlich höher als auf einigen der anderen kleinen Kykladen, und wer seine Unterkunft nicht verlässt und sich den Tag am Pool
vertreibt, der kann schon den Eindruck gewinnen, Folegandros sei ein wenig schickimicki.
Wer aber nur ein paar Schritte aus dem Ort hinaus wagt, der erlebt eine ganz andere Welt, der wandert durch die terrassierte Landschaft auf alten Eselspfaden, trifft vielleicht noch auf den einen
oder anderen grauen Gesellen, genießt die wunderbaren Ausblicke an der Christos Kapelle über die Bucht von Fira und Agali, oder macht sich gleich auf nach Ano Meria in den wilden Nordwesten der
Insel. Hier scheint die Zeit wirklich stehen geblieben zu sein, die Esel- und Maultierdichte noch sehr hoch, die Kapellen einsam und dem Meer zugewandt. Hier kannst du die Muße wiederfinden,
setze dich einfach mal für ein Stündchen in den Schatten, vielleicht unter einen Olivenbaum, blick in die karge Landschaft, schau dir die verfallenen Häuser an, ganz aus Feldsteinen gebaut, und
wirf einen Blick hinunter zur Livadaki Bucht, der sonst so einsamen, die heute schon täglich mit dem Badeboot angefahren wird und garantiert nicht mehr einsam ist.
Mach eine kleine Rast in der Taverne Iliovasilema, wo gerade die gekärcherten Stühle zum Trocknen draußen stehen, bedaure die armen Vögel in ihren engen Käfigen und bewundere die großen
Schiffsmodelle von der BlueStar Naxos und von der Adamantios Korais, die hier irgendwie fehl am Platz zu sein scheinen, aber der Wirt scheint wohl ein ambitionierter Modellbauer zu sein. Verlass
dich nicht auf den Busfahrplan, denn der kann sich von einem auf den anderen Tag ändern, und so gehst du halt zu Fuß die Straße entlang zurück, mit wunderbarem Ausblick auf die Chora und ihre
Panagia Kirche auf dem Berg.
Vielleicht reicht die Zeit noch für ein kühles Bad am einzigen wirklichen Sandstrand der Insel, in Agali. Bis hier hinunter fährt sogar schon der Bus. Allerdings ist die Straße so steil und eng,
dass sie bei jeder Busfahrt für den Gegenverkehr gesperrt werden muss, natürlich per Hand und Seil. Aber die Strecke ist sehr beliebt. Während es im Juni lediglich eine Fahrt täglich gab, fährt
der Bus jetzt im September bereits neun Mal zur Chora.
Folegandros ist spürbar bequemer…
…bequemer geworden, muss es allerdings heißen.
Vielleicht gehst du am Abend ja noch hinauf zur Panagia Kirche, um den Sonnenuntergang zu genießen. Wo man früher anstrengend „me ta podia“ hinaufkraxeln musste, gibt es heute den Taxitransfer
per Muli, fast wie auf Santorin. Zwar zur Zeit nur mit einem einzelnen Transportunternehmer, aber wenn das Schule macht…
Lohnen tut sich der Aufstieg allemal, auch zu Fuß, und der Sonnenuntergang steht dem von Oia in nichts nach, man könnte fast annehmen, dass es sich sogar um dieselbe Sonne handelt!
Aber Plagiate gibt es ja überall.
So hat letztlich der Erste Fußballclub in Köln versucht, sein Motto „SPÜRBAR ANDERS.“ als Marke schützen zu lassen, so dass es von niemand sonst genutzt werden darf. Der Europäische Gerichtshof
hat allerdings entschieden, eine Marken-Klage des 1. FC Köln abzuweisen, der Spruch wäre nicht zwingend dem Club zuzuordnen.
Also wäre eigentlich der Weg für Folegandros frei, auch diesen Slogan nutzen zu können. Mir würde er gefallen.
Folegandros – spürbar anders.
Nun, wir und die Katzen von Folegandros nehmen es gelassen, lassen die Kirche im Dorf, genießen den letzten Abend und reisen per Seajet2 weiter.