AMORGOS, DIE WILDE - JUNI 2024

Sie suchen Albert.
Es ist der 14. Juni 2024, wir kommen gerade von Koufonissi nach Amorgos und fahren hoch zur Chora, überall sehen wir die Suchanzeigen angeschlagen. Seit dem 11. Juni wird er vermisst, der ehemalige Polizist aus den USA, ein Amorgoskenner seit Jahren. Er wollte wohl von Aegiali aus nach Chora wandern, so wie er es schon vorher gemacht hatte. Dass es beschwerlich sein wird, wusste er. Er soll jedoch seine Route hinter Asfodilitis in Richtung Straße geändert haben, um von dort nach Katapola zu wandern, so die Aussage eines Hirten, der ihn wohl noch gesehen hat. Seit Tagen herrscht eine Hitzewelle in Griechenland, auf Amorgos wird über 40 Grad im Schatten gemessen, aber Schatten gibt es auf der Wanderung in den Bergen nicht, die Temperatur steigt in der Sonne auf über 60 Grad, und Handyempfang gibt es hier auch nicht, so dass es keinen Notruf oder eine Handy-Ortung geben kann. Jetzt sind Suchtrupps unterwegs, Feuerwehrleute von Naxos und Syros sind auf Amorgos angekommen, ein Hubschrauber aus Paros sucht in der Luft. Wärmekameras sind bei diesen Temperaturen zwecklos, es geht nur der harte Weg zu Fuß, Amorgos ist eine wilde, unwegsame Insel.

Am Abend sehen wir die Feuerwehrleute in der Taverne Kastanis in Chora, sie machen einen erschöpften Eindruck. Freunde von Albert aus den USA sind nach Amorgos gekommen. Auch jetzt, nach wochenlanger Suche mit Drohnen, Booten und Hundestaffeln gibt es keine Spur von ihm. Viele Menschen verfolgen die laufenden Berichte seiner Freundin auf Facebook über den Stand der Suche, viele beten für ihn.

Das Leben für uns normale Touristen geht seinen Gang, was man auch immer darüber denken mag, Wanderungen bei über 30 Grad sollte man auf jeden Fall vermeiden. Wir hingegen machen uns auf zu den alten Mühlen oberhalb von Chora, die neuerdings alle ein rotes Dach tragen und restauriert worden sind. Mir gefällt es, genauso wie die Windmühlenreihe auf Astypalea oder Mykonos – auf jeden Fall ein Touristenmagnet. Wenn sie dann noch mit Windkraftanlagen zur Stromerzeugung ausgestattet würden, wären einige Windkraftgegner von Amorgos vielleicht besänftigt.

Dem heimeligen Ambiente in den Gassen von Chora mit den kleinen Tavernen, Cafés und Souvenierläden täte es jedenfalls keinen Abbruch. Noch scheint der Kommerz hier nicht alles zu sein, man ist auf Atmosphäre bedacht, und schon aus Lokalitätsgründen können Restaurants hier nicht ins Unendliche wachsen, wie auf den größeren Kykladen, wo viele ihre Kapazität im Außenbereich enorm erweitert haben und man sich fragt, wie die den Ansturm überhaupt logistisch schaffen. Wie dem auch sei, kleine Tavernen haben den größeren Charme, bei denen man den Eindruck hat, hier ist man Gast im Zuhause der Wirtsleute, wie z.B. hier in Chora im O Parvas, Kastanis, Kathodon, Arbaroriza, hier spüren wir vielleicht noch den Rest eines authentischen Griechenlands.

Aber auch Katapola hat nichts von seiner Ursprünglichkeit verloren, und wer einmal Chaos hautnah erleben möchte, der schaue einfach dort im Supermarkt mal hinter die Kasse. Postkartenidyllen gibt es auch, griechische Fahnen und  Bougainvillea im sanften Wind, bunte Boote überall, besonders am neuen Hafenanleger in Xylokeratidi.  Am Abend wird es richtig stimmungsvoll, wenn in der Moon Bar die Sonne im Glas versinkt, im Le Grand Bleu die Fußballeuropameisterschaft 24 tobt (na ja, nicht ganz), im Prekas, Akri oder sonst wo der Grill zum Abendessen angeschmissen wird, zu dem wir gerne auf die Boote und aufs Wasser schauen.

Am nächsten Tag fahren wir raus aufs Land, ein Blick auf das Kloster Panagia Chozoviotissa und das unendliche Blau darf natürlich nicht fehlen. Es geht weiter bis nach Vroutsi, wir parken vor der Taverne O Giorgalinis, die wohl ein beliebtes Ausflugslokal geworden ist. Viel ist hier zur Zeit nicht los, die Kirche Agios Spiridonas bildet nach wie vor den Mittelpunkt des Dorfes, mittlerweile gibt es sogar auch ein paar Fremdenzimmer.

Sehnsüchtig blicken wir zum Wanderweg nach Alt-Arkesini, mit der wundervollen Johannes-Kapelle am Wegesrand, schauen bis zur Bucht von Lefkes, leider ist es ist viel zu heiß. Dafür tauchen wir ein in die Welt von Paresa. Vor zwei Jahren hat sie ein altes baufälliges Haus bei der Mühle restauriert und dort ihr Kunstatelier mit Laden geschaffen, ein Stöbern lohnt allemal. Paresa.gr, Kunstobjekte und Silberschmuck von Paresa Konsta. 

Ja, im Süden von Amorgos scheint die Zeit stillzustehen, und man kann noch Griechenland abseits der Touristenströme erleben. Die herzlichen Bewohner, die atemberaubende Landschaft und die persönlichen Erlebnisse machen jeden Besuch unvergesslich. Und um unser Amorgos-Feeling noch zu toppen, machen wir uns auf, für ein paar Tage die Dörfer im Norden zu besuchen: Aegiali, Langada, Tholaria.

RICHIS KYKLADENFIEBER