Schon immer war ich fasziniert von Nikos Kazantzakis und dessen Wahlspruch, der auf seinem Grabmal in Iraklio geschrieben steht: „Δεν ελπίζω τίποτα. Δε φοβούμαι τίποτα. Είμαι λέφτερος.“ „Ich
erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei“. Dennoch habe ich ihn bis heute nicht wirklich verstanden, es klang mir immer so wie das Pfeifen im Walde. Wer nichts erhofft, wer nichts
fürchtet, der ist doch nicht frei, der ist doch eher ein Schlendrian, ein Heiopei. Oder er macht sich etwas vor, denn vor etwas muss man sich doch fürchten, sonst geht man unter. Wie gesagt, so
ganz geglaubt habe ich Kazantzakis nicht.
Es war auf unserem Flug von Athen nach Kreta, wir saßen in einer der hinteren Reihen, als sich nach der Landung beim Aussteigen ein robuster Grieche an uns vorbeidrängeln wollte, um durch die Tür
am Heck als erster rauszukommen, ich mich ihm in den Weg stellte und ihn auf Englisch fragte, wo denn sein Sitzplatz sei, vielleicht hinter unserem, nah an der Tür?...um dann meine Sachen zu
nehmen und vor ihm auszusteigen. Wütend fing er an zu schimpfen, auf Griechisch, scheiß Touristen, Malaka, und machte seinem Unmut in der ganzen Maschine Luft. Ich blieb stehen, drehte mich um,
sah ihn an und sagte nur: „ Δεν ελπίζω τίποτα.“ Sofort verstummte er, blieb friedlich und mied auch den Kontakt mit mir nach dem Aussteigen am Gepäckband. Dass ich als Tourist seine griechischen
Beleidigungen verstanden hatte, damit hatte er wohl nicht gerechnet.
Jetzt am 25. März zum 200. Jahrestag der Griechischen Revolution ist mir dieser Wahlspruch wieder eingefallen, und während die Griechen und wir hier in Deutschland im Lockdown sitzen, wo weder
Geschäfte noch Restaurants geöffnet sind, das ganze Leben auf Sparflamme läuft, frage ich mich, wie es den Griechen heute wohl geht. Eine gute griechische Freundin ist letztes Jahr zu Weihnachten
nach Hause geflogen, nach Kavala, sie ist bis heute nicht zurück gekommen und wird wohl auch den nächsten Sommer dort verbringen.
Auch wir haben unsere Reisepläne für das Frühjahr schon längst aufgegeben, hoffen auf den Sommer oder Herbst, und es wird mir immer klarer, dass an dem Kazantzakis-Spruch wohl etwas Wahres dran
sein könnte.
Denn je mehr ich den falschen Versprechungen der Politiker lausche, je länger ich selbst dieses eintönige Leben im Home-Office durchmache, je öfter ich das gemütliche abendliche Kochen und Essen
als Höhepunkt des Tages zu Hause genieße, desto mehr denke ich daran:
Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Nur dann bin ich frei.