Noch bis vor Kurzem war Anafi ein gutes Versteck für zivilisationsmüde Freaks.
Die Insel ist rauh, nicht lieblich, nicht für Touristen gemacht. Trotzdem werden mehr und mehr Urlauber von Santorin kommend auf die Insel gespült, das Publikum ist international, nicht pauschal.
Zur restlichen Kykladenwelt hielten die Bewohner von Anafi immer Distanz, schufen sogar ihr eigenes Dorf in Athen, „Anafiótika“ am Rande der Plaka. Anafi, das ist außerhalb. Da wundert es mich
schon nicht mehr, dass der Katamaran bei unserer Ankunft nicht anlegt, wir werden ausgebootet wie vor 30 Jahren. Der Kapitän weigert sich offensichtlich, am Kai anzulegen. Wer weiß warum…
Am Hafen werden wir aufgegriffen, „Rooms?“. Mit dem Pickup geht es hoch zur Chora. Von Folegandros kommend erwartet uns hier ein ganz anderes Bild. Keine Puppenstube, Kykladenarchitektur von
archaischem Design, die dem Zweck folgt, nicht der Schönheit. Stromleitungen beherrschen den Himmel, der Wind pfeift durch die Gassen. Eselsdreck liegt auf der Straße, Maultiere sind hier noch
wichtige Transportmittel, zum Wochenende wird gekehrt. Wir landen in einem ehemaligen Gehöft, heute natürlich umgebaut, einfach aber sauber. Blick auf den Backofen der Familie. Hier hat sich
nicht viel geändert. Statt der Tiere werden jetzt die Touristen gemolken.
Pech gehabt, es gibt sicher schönere und komfortablere Unterkünfte in der Chora von Anafi. Die Strände an der Südküste sind traumhaft, auch im Juni noch menschenleer, bis auf ein paar Althippies
- fast schon unheimlich als wir im Hinterland ein verendetes Rind finden. Aber die Insel ist herrlich, wunderbar zum Baden und Wandern. Am Abend in der Chora kommt es wieder, das ursprüngliche
Griechenland-Feeling, im To Steki zwischen Einheimischen und Popen sitzend ist die restliche Welt weiter weg als irgendwo sonst auf den Kykladen.
Die Tage vergehen, die Zeit verfliegt. Wir nehmen Abschied, bezahlen das Zimmer. Die Fähre soll um vier Uhr in der Früh gehen. Unser Wirt bietet sich an, uns zum Hafen zu bringen, wir waren schon
auf einen Fußmarsch eingestellt. Also mitten in der Nacht aufstehen, Sachen zusammenpacken und auf unseren Fahrer warten. Und warten. Und warten. Schon sehe ich die Fähre am Horizont kommen, ich
klopfe an seine Tür, wecke ihn aus dem Schlaf. Augen reiben, Hose an und ab in den Pickup. Wir sitzen mit unserem Gepäck auf der Ladefläche, Ladeklappe hinten geöffnet. Aber jetzt geht es nicht
zum Hafen, erst fährt er zu seinem Schuppen, in dem sein Fang vom Vortag zwischenlagert. Eine Kiste mit kleinen Fischen auf Eis und eine Kiste mit zwei riesigen Langusten für die Hotels in
Santorin.
Die Fähre kommt immer näher. Kisten auf die Ladefläche und der Höllentrip beginnt. Irgendwie war das Angebot für die Fahrt doch nicht so selbstlos wie wir dachten. Wir klammern uns an die Seiten,
schon in der ersten Kurve kippt die Kiste mit den Lobstern um. Die Viecher krabbeln umher, suchen den Weg in die Freiheit. Die Fahrt wird immer schneller, wir werden durchgeschüttelt. Eine
gewisse Verantwortung hat man ja doch, wenn man kostenlos mitgenommen wird. Also beginnt die Lobsterjagd, ich halte mich mit den Händen am Wagen fest und erwische die Tiere mit den Füßen. Unter
dem rechten Fuß einen Lobster, unter dem linken Fuß einen Lobster. Hoffentlich überleben die das. Und wir. Wir schaffen es so gerade. Beim Ablegen der Fähre springen wir auf die Ladeklappe der
Fähre, die sich schon langsam hebt, die Kisten werden hinterher geworfen. Der Zettel daran klärt, wessen Hotelgäste sich darauf freuen können. Das war knapp.
Ich meine, die Langusten hätten sich sogar noch ein bisschen bewegt.