Kreta, der Ort Sivas - Okt. 2018

Jetzt also Kreta. Zwar nur für eine Woche, aber immerhin. Das erste Mal.
Um es vorweg zu sagen: nein, wir haben nicht die Samaria-Schlucht gesehen, waren nicht in Paleochora, Sougia, Agia Roumeli, schon gar nicht in Loutro, Chora Sfakion oder Frangokastello. Nicht einmal bis zum Preveli Beach haben wir es geschafft, der doch einer der schönsten Kretas sein soll.
Die Ortswahl für den kurzen Urlaub Ende Oktober im Süden Zentralkretas ist sicherlich wegen des guten Klimas dorthin gefallen. Während es auf den Kykladen zu dieser Zeit manchmal schon recht kühl sein kann und das öffentliche Leben langsam auf Sparflamme herunter gekocht wird, soll es ja auf Kreta noch recht beständig warm sein. Und irgendetwas zu Essen wird man in Sivas ja wohl auch finden, wir sind ja nicht Ende Januar unterwegs.
Ja, auf den kleinen Ort Sivas ist meine Wahl gefallen. Ein Ort mit ca. vierhundert Einwohnern am Rande der Messara-Ebene, die uns durch ihre üppige Vegetation von tausenden Olivenbäumen überrascht. Unweit der Küste, aber nicht zu nah an den touristischen Magneten wie Matala, Phaistos oder dem Komo-Strand schien mir dieser Ort für einen Aufenthalt im noch ursprünglichen Kreta geeignet. Kreta, das wahre Kreta soll ja bei Kennern noch einen gewissen Zauber in sich tragen, wenn man den Berichten in etlichen Kreta-Foren glauben darf. Denn dort gibt es viele selbst- und sogenannte Kretakenner(innen), die sich gerne mit einem Wahlspruch wappnen, gerne auch auf Griechisch, damit es authentischer wirkt, der da lautet wie: „Ich finde Kreta in meinem Herzen“. Oder: „nimm mich mit, nimm mich mit, nach Kreta“. Oder: „Kreta ist wie nach Hause kommen“ Oder „Wer früh nach Kreta reist, wird nicht viel mehr von der Welt sehen“.
Nun, eigentlich möchte ich die Kykladen nicht völlig aufgeben, und auch sonst noch einiges von der Welt sehen, daher war ich zurückhaltend gespannt.
Gespannt auch auf die Kreter selbst, wie sie uns begegnen. Denn auch mit der Geschichte Kretas habe ich mich beschäftigt, und die Gräueltaten der deutschen Truppen im Rahmen der Besetzung Kretas 1941 fanden auch in der Nähe unseres Urlaubsortes statt, wie zum Beispiel in Kamares und Mires, wo etliche Kreter von den Deutschen ermordet wurden. Vergessen darf man so etwas nie. Aber wird das Auswirkungen auf uns Deutsche als Touristen haben? Zumal die griechische Gastfreundschaft ja legendär ist.

 

Negative Auswirkungen oder Fremdenfeindlichkeit habe ich in dieser Woche nicht gespürt, eher das Gegenteil. Die Kreter, die wir treffen, sind überaus freundlich, als hätte es die furchtbaren Morde der Deutschen in der Vergangenheit nicht gegeben. Denn man muss bedenken, viele Angehörige der Ermordeten leben noch.


Bei der Suche nach Sivas auf Google-Maps erscheinen als Unterkünfte  vorrangig die Sigelakis-Studios, zwei Tavernen soll der Ort auch haben, und so fällt uns die Entscheidung leicht. Nur merke ich nach meiner Buchung des Studios auf deren Website, dass auch der NDR sich schon mit Individualurlaub in den Sigelakis-Studios befasst hat, mit dem Film „Der große Urlaubscheck Kreta“. Also so ganz unbekannt bei deutschen Touristen wird dieser Ort dann doch wohl nicht sein. Und mehr als nur zwei Tavernen wird es auch geben.

Wir jedenfalls starten mit unserem Mietauto von Chaniá aus in Richtung Rethymno die Nordküste Kretas entlang, biegen dort ab Richtung Spili und durchfahren eine wundervolle kretische Berglandschaft, die nicht so kurvenreich ist wie befürchtet, umfahren Spili und werfen bewundernde Blicke in Richtung des Bergmassivs Psiloritis, das jetzt Mitte Oktober noch keine Schneekappe zeigt.

Nach der Durchfahrung von Tymbaki ist es nicht mehr weit, und wir erreichen in der Mittagszeit unser Ziel. Unsere Wirtin Maria erwartet uns schon nach einem kurzen Anruf auf ihren griechischen Anrufbeantworter, sie spricht nicht sehr viel Englisch, das lässt uns hoffen, und nach der Klärung unserer Wünsche nach notwendigen Sedónia und Kouvértes begeben wir uns auf einen kleinen Rundgang durch den Ort. 

Die Unterkunft liegt am Rande von Sivas, aber doch zentral, es sind nur ein paar Schritte bis zur Ortsmitte, wir passieren die kleine Kirche des Ag. Ioannis o Xenos, der ein Sohn des Dorfes war, bestaunen den gut erhaltenen (rekonstruierten?) Brunnenplatz, umrahmt von etlichen Granatapfelbäumen, dessen Früchte uns rotreif anlachen, und deren Kerne wir später gerne auf unserem Salat wiederfinden. Der Metzger nebenan hat wohl soeben frisch geschlachtet, aber auch für Nichtfleischesser bietet er Produkte an, selbst produziertes Olivenöl und Honig.
Ansonsten finden wir nur wenige kleine Läden, um uns mit Lebensmitteln fürs Frühstück und für den Tagesproviant zu versorgen, Brot gibt es in den beiden Lebensmittelläden des Ortes, und die alte Dame des einen Minimarktes ist immer gerne für ein kleines Schwätzchen zu haben.

Ja, Sivas macht auf den ersten Blick immer noch den Eindruck eines traditionellen kretischen Straßendorfs, wobei mir natürlich die gewohnte Ästhetik der Kykladenarchitektur fehlt. Das Dorfbild bestimmen Zweckbauten in Skelettbauweise, aus denen wie in Griechenland üblich die Moniereisen aus den oberen Stockwerken ragen. Einige alte Natursteinhäuser sind oder werden gerade restauriert, das macht das Bild erträglicher.
Am Dorfplatz, der eher einer größeren Straßenkreuzung gleicht, finden wir drei Tavernen und eine Ouzerie. Viel los ist hier am Vormittag nicht, und so werden wir von den auf Gäste wartenden Wirten schon persönlich begrüßt, sie erheben sich von ihren Sitzen und laden uns ein, als ob wir uns schon kennen würden. Etwas merkwürdig kommt uns dies schon vor, und wir lehnen dankend ab, es ist noch zu früh. Und allen vier Wirten könnten wir es ja sowieso nicht recht machen. Der große Platz vor der Kirche des Heiligen Johannes ist jedoch verwaist, er dient wohl gleichzeitig auch als Schulhof und er wird nicht als abendliche Platia genutzt.

Zum Sundowner bieten sich ein paar Kneipen und Cafés an, wir wählen das kleine Café Europa mit Blick auf unseren Lieblingsminimarkt und wundern uns schon fast gar nicht mehr, dass in diesem Café ausschließlich Deutsch gesprochen wird, denn hier treffen sich die Kretakenner(innen), das Café wird geführt von Georgios und Anna, die aus Deutschland stammt und uns mit allen möglichen Informationen versorgt, während Georgios in seinem Atelier hinreißend schöne Schmuckstücke fertigt, eine Symbiose aus Silber mit fein geschliffenem Olivenholz.
Am Abend dann sind fast alle Tavernen – außer einer – von meist deutschen Urlaubern gut besucht, und viele scheinen auch aus den umliegenden Orten angereist zu kommen, wovon das erhöhte Verkehrsaufkommen in den engen Gassen zeugt. Generell werden wir in den nächsten Tagen feststellen, dass im Süden Zentralkretas hauptsächlich die deutschen Touristen vorherrschen. Zu Beginn der Herbstferien in Frankreich kommen dann ab dem 21.Oktober etliche französische Familien hinzu.
Natürlich entdecken wir außer unserer Pension noch eine Handvoll weitere Unterkünfte, aber wir sind mit unserer Wahl sehr zufrieden, und statten an unserem ersten Abend gleich der Taverne unseres Vermieters Georgios Sigelakis einen Besuch ab, der uns zur Begrüßung mit einem hausgemachten Rakómelo empfängt und uns mit Austernpilzen in Tomaten und Kouneli Stifado verwöhnt.

Somit erhöht sich die Anzahl der Restaurants im Ort schon auf fünf, und am nächsten Abend werden wir sogar noch Restaurant Nummer sechs ausprobieren, das „Avli tou Kosta“. Das hört sich doch schon mal sehr griechisch an. Wir werden sehen.
Ja, Sivas ist strategisch gut gelegen, nur ein paar Kilometer von den bekannteren Orten Pitsidia und Matala entfernt, die archäologische Stätte Phaistos liegt gleich um die Ecke, und auch der samstägliche Wochenmarkt in Mires ist ein beliebtes Ausflugsziel, genauso wie zum Beispiel der beschauliche Nachbarort Kouses mit seinem BoTano-Kräuterladen, nicht zu vergessen das nette Kamilari oder das nahe gelegene Kloster Odigitrias. Mit Sivas haben wir einen idealen Ausgangsort für Wanderungen in die Natur gefunden, und für Badefreuden lockt der nahe Komos-Beach. All das werden wir in den nächsten Tagen aufsuchen und uns zu echten Kretakennern mausern.


RICHIS KYKLADENFIEBER