Es ist dieser kurze Augenblick, er dauert nur ein paar Sekunden, vielleicht auch eine Minute, der Augenblick, an dem du unter Deck stehst, das Gepäck schon an der Hand, wenn die Fähre sich nicht
zu bewegen scheint, vom Vorwärts- in den Rückwärtsgang wechselt und die ganze Welt still zu stehen scheint, wenn sich dann langsam die Heckklappe öffnet und das grelle Tageslicht dich blendet,
dir die Sicht nimmt, und du ganz langsam schemenhaft den Anleger der neuen Insel erkennst, die griechischen Schriftzeichen an der Mole entziffern kannst: „Willkommen auf der Insel des Ikaros“,
und du dich wunderst, denn es steht dort nicht „Willkommen auf Ikaria“, so wie die Insel wirklich heißt, du siehst die vielen Menschen, die ungeduldig auf die Fähre warten, dann reflektierst du
nur kurz deine Reise, die letzte Station, die letzte Insel, die letzte Unterkunft, die letzten Kontakte, die letzten Gespräche.
Dann geht es los, die ersten Schritte auf dem Kai, alles ist auf einmal vergessen, Geschichte, eine neue Episode beginnt, du bist plötzlich in einer anderen Welt, ein Teil davon. Die Menschen
strömen an dir vorbei, haben nur ein Ziel, rauf auf die Fähre oder runter, du findest plötzlich jemanden, der ein Schild mit deinem Namen hochhält, ein Taxifahrer, korpulent, freundlich, er heißt
Zacharias - wie er dir auf Nachfrage sagt. Du hattest in deiner Pension angefragt, ob man euch von der Fähre abholen könnte, denn die Pension liegt versteckt, das wusstest du, es gab keine genaue
Adresse, keine Straße, keine Hausnummer, nur der Ort war klar: Therma, nicht weit entfernt vom Hafen, ein kleiner Badeort mit Thermalbad. Sie würde ein Taxi schicken, der Taxifahrer wüsste
Bescheid, sagte die Vermieterin am Telefon.
Und Zacharias kennt sich aus, er kommt aus Therma, nicht aus dem Hafenort Agios Kirykos, der auch der Hauptort der Insel ist.
Die Fahrt dauert nur ein paar Minuten, Zacharias fährt nicht aggressiv, er schuckelt sich so durch den Verkehr, durch die engen Straßen, ziemlich chaotisch, aber so fahren sie alle, chaotisch, und jeder weiß das und nimmt daher vielleicht unbewusst Rücksicht. Ob wir denn Ikaria kennen würden?, ja wir waren schon mal da, aber an der Nordseite bei Armenistis, wir kennen im Süden nur Manganitis und den Seychelles Beach. Der sei ganz nett, meint er, aber der St. George Beach an der Nordost-Spitze der Insel sei viel schöner, das wäre sein Tipp. Ob die Pension denn auch schön sei?, will ich wissen, oh ja, von dort hätte man den besten Blick über ganz Therma, ich werde begeistert sein. Er parkt das Taxi vor dem Ortsstrand, packt einen unserer Koffertrolleys, nimmt ihn nicht in die Hand sondern wuchtet ihn auf seine Schulter, was mich ein wenig stutzig macht, und läuft los, wir hinterher den anderen Trolley tragend, mitten durch die Cafés der Paralia, passieren die undichten Schläuche der örtlichen Wasserversorgung, stolpern über die Terrasse einer großen alten Hotelruine, marode Treppen ohne Geländer hinauf in eine weitere Ruine, ein abenteuerlicher Weg wie durch die kaputten Häuser eines Krieggebiets, ein kurzer Treppenweg noch, und schon sind wir da, auf einem Plateau mit schöner Aussicht über die Ägäis hinüber bis nach Fourni.
Wir sind überrascht, die Pension liegt wunderschön am Ende des Ortes, etwas verwohnte Hängematten und Liegestühle sollen zum Relaxen einladen, das Plateaugelände mit zahlreichen Tischen und Stühlen lässt eine gewisse Großzügigkeit erwarten.
Jedoch ist die Enttäuschung groß, als wir die eigentlichen Rooms in Augenschein nehmen. Von Großzügigkeit keine Spur, die Zimmer sind klein, Reihe an Reihe, innen kaum Platz um seine Sachen
abzustellen, die Matratze versifft und durchgelegen, aufgepeppt mit einer Art Futonmatratze, die darüber liegt, Stromversorgung durch lediglich eine Steckdose im Raum, versehen mit einem
Dreifachstecker, der für Nachtischlampe, Fernseher und Handylade reicht, an der die zweite Nachtischlampe dann aber keine Chance mehr hat. Küchenzeile: Fehl am Platze, gekocht wird in der
Gemeinschaftsküche nebenan, die den Charme einer Wohngemeinschaftsküche verströmt, und dieser Charme soll sich eigentlich laut der Vermieterin auch auf die Gäste übertragen, was diesen aber
offensichtlich nicht so behagt, bei einem Preis von fünfzig Euro pro Nacht in der Vorsaison.
Um das Wohl der Gäste sorgt sich Eleni, eine Seele von Mensch, freundlich und hilfsbereit, bietet zur Begrüßung erst einmal das Produktangebot ihres alternativen Therapiezentrums (so kommt es uns
langsam vor) zum Verkauf an: die übliche griechische Olivenseife, Cremes und Salben. Und ab sechzehn Uhr wäre auch der Masseur da, so komplettiert die Vermieterin ihr Angebot, ein wirklich
hervorragender Könner seines Fachs, und ob ich Arzt sei?, was ich verneine, aber auf diese Frage hab ich eigentlich heimlich schon seit Jahren gewartet. Und in der Hochsaison würden auf der
kleinen Bühne neben dem Haus auch Lesungen abgehalten, und Malkurse, alles ganz kreativ hier. Wir lehnen dankend ab.
Obwohl, nach genauer Inspektion der etwas maroden Anlage und unserer gründlichen Reinigung des Zimmers und vor allem der Gartenmöblierung überlege ich schon, falls ich den Masseur nach sechzehn
Uhr doch antreffe, ob ich ihn nicht einfach mal bitte, wenigstens die offenbar seit Tagen vollen Aschenbecher zu entleeren.
Aber dennoch, die Aussicht ist schön, wir blicken rechts hinüber auf Therma mit dem Badehaus und dem Hamam, daneben eine Grotte, öffentlich zugänglich, hier sprudeln die seit der Antike bekannten Thermalquellen, das fünfzig Grad heiße Wasser soll Schwefel, Radium und Radon enthalten.
Der Ort selbst hat sonst leider nicht viel zu bieten, Bäcker, ein paar Minimärkte, ein paar Cafés. Lediglich ein Restaurant hat im Juni geöffnet, das „Meltemi“, zum Glück ein sehr gutes. Nur ein paar Touristen genießen den Abend bei Barbunia und Co., erst nach Zehn kommen viele Einheimische dazu, es wird voll, die Tische biegen sich, der sehr gute Hauswein wird in den anderthalb Liter Wasserflaschen serviert, es wird lauter, was vielleicht auch dem Vollmond geschuldet ist, der wie eine zweite Sonne über der Bucht aufgeht.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg zum Agios Georgios Beach. Die Straße bis Fanari (Faros) kennen wir bereits von unserem letzten Besuch im September, sie führt an der Küste entlang, vorbei an etlichen kleinen Stränden, auch zum kleinen Flughafen der Insel. Wobei man sagen muss, das Fanari selbst keinen wirklichen Ortskern bildet, es ist eher eine Streusiedlung, eine Anhäufung von Pensionen und Privathäusern, an der Straße zum Strand gibt es einen Supermarkt und ein paar Lokale, und viele ausgeschilderte Parkplätze, was darauf schließen lässt, dass in der Hauptsaison hier schon einiges los sein wird.
Der Fußweg zum Agios Georgios Beach ist von hier schon ausgeschildert, es geht vorbei an der umzäunten Ausgrabungsstätte von Drakano mit dem imposanten Turm, der uns irgendwie unwirklich neu und daher halbfertig erscheint, weiter zur etwas griechisch untypischen Agios Georgios Kapelle mit ihren Feldsteinen auf dem Dach, hinunter zu Zacharias´ Traumstrand. Nicht schlecht, denken wir, sind alleine dort, das Wasser ist türkisfarben und glasklar, so muss es sein.
Und wie kann man den Tag besser ausklingen lassen, als in einer netten Taverne? Wir streunen am späten Nachmittag durch Agios Kirykos, staunen über Parkplätze mit Gebühren, bummeln durch enge Gassen und wählen schließlich das Stou Tzouri an der Paralia, mit Blick auf Vollmond und Meer.
Viel Zeit bleibt uns bis zu unserer Weiterfahrt zur nächsten Insel nicht, und so beschränken wir uns am nächsten Tag auf das „Erkunden“ der weiteren Strände an der Südostküste, die wir gestern nur im Vorbeifahren gesehen haben. Von Therma bis Faros reiht sich ein Kiesstrand an den anderen, aufgereiht wie an einer Perlenkette: der kleine Anefantis Beach, dann der Kerame Beach als Doppelbucht mit einer Kapelle und bizarrer Felsformation am Anleger (wobei die Nebenbucht ohne Kapelle die schönere ist), der lange schmale Glifadi Beach, dem fast endlos lang erscheinenden Faros Beach mit Infrastruktur und der Taverne O Leonidas, vorbei an dem Denkmal des Hubschrauberunglücks bis zum Nudisten Beach Lakoma, ein langer Kiesstrand mit wenig Sand und wenig Schatten.
Wir testen den fast endlos lang erscheinenden Faros Beach mit Infrastruktur und der Taverne O Leonidas, gehen vorbei an dem Denkmal des Hubschrauberunglücks bis zum Nudisten Beach Lakoma, es ist ein langer Kiesstrand mit wenig Sand und wenig Schatten.
Zum krönenden Abschluss gönnen wir uns noch einmal ein gutes Abendessen im Meltemi, überstehen die letzte Nacht auf unserer Futonmatratze, und wuchten am nächsten Morgen unsere Trolleys durch die Ruinenlandschaft.
Fazit: Der Südosten von Ikaria ist schön, doch der Nordwesten rund um Evdilos und Armenistis mit seinen urigen Tavernen in Nas hat uns beim letzten Aufenthalt besser gefallen. Aber man muss es halt gesehen haben. Uns zieht es weiter. Der Katammaran hat schon gewendet.