Die kleine Insel Tilos, unser nächstes Ziel, ist nur einen Katzensprung von Nisyros entfernt. Oder sagt man „einen Steinwurf“? Irgendwie zu brachial, wer will denn schon mit Steinen werfen. Obwohl beides passen würde. Die Katzen auf Tilos sehen deutlich kräftiger aus als auf Nisyros, die könnten den Sprung schaffen, und Kieselsteine gibt es am Strand von Livadia auch jede Menge und in jeder Farbe. Das sieht schon mal gut aus hier.
Wie dem auch sei, die Schnellfähre Dodekanisos Pride braucht knapp vierzig Minuten von Poller zu Poller, und etwas ist doch bemerkenswert auf dieser kurzen Fahrt. Man sollte es nicht für möglich
halten, aber hier gibt es plötzlich ein geregeltes Frachtcontainersystem in Form von Paketwagen mit Drahtkäfigen darauf, ordentlich durch nummeriert. Die haben die unordentlichen Kisten und
Pappkartons abgelöst, die ich noch von der Express Skopelitis so gut kenne, und deren Kapitän ich schon immer einmal so ein Containersystem vorschlagen wollte. Und wahrscheinlich werden hier
nicht einmal die Eistruhen komplett ausgetauscht, wenn mal das Speiseeis aus ist, sondern es kommt der Kühlcontainer. Auf den Inseln des Dodekanes geht es halt ein wenig moderner zu als auf den
Mikres Kyklades.
Der Hafenort Livadia macht mit seinen weißen Kubenhäusern und den blauen Fensterläden jedoch auch einen recht kykladischen Eindruck. Ein Blick vom Anleger nach rechts zeigt uns das auf der Klippe
thronende Hotel Irini Ilidi Rock, das sich – nach kurzem Googlen - in der Vorsaison sogar als noch bezahlbar erweist. Nach links blicken wir zum Ortsstrand mit der Paralia, an der etliche Cafés,
Restaurants und Pensionen liegen, samt Kirche.
Allerdings hatte ich mir vorgestellt, dass es eine belebte und befahrene Uferstraße geben würde, aber dem ist nicht so. Die Promenade ist verkehrsberuhigt, und schon ein einzelner Radfahrer fällt hier unangenehm auf. Diese Situation hemmt ein wenig die Lebendigkeit eines typisch griechischen Ortes.
Und so findet das wirklich griechische Leben auf dem Dorfplatz statt, vor dem Café To Petrino oder dem traditionellen Kafenio Omonia. Oder aber in einer der Seitenstraßen. Aber das werden wir heute Abend sehen.
Zunächst holt uns Sothris von der Fähre ab, mit einem Auto, das die besten Jahrzehnte wohl schon hinter sich hat, die Mitteltür und die Kennzeichen fehlen, aber immerhin ein Mercedes!
Gebucht habe ich die Sevas Studios, und wie der Name schon sagt wird die Pension von Sevasti geführt, hier ist alles blitzeblank, das Studio ist schon fast eine Wohnung mit großem Sonnenbalkon
und Blick über die Bucht, ein echter Komfort nach unseren kleinen Hotelzimmern auf Kalymnos und Nisyros. Nur die Lage an der Ortsausgangsstraße ist suboptimal, da gerade irgendwo auf Tilos eine
neue Straße gebaut wird, und der Bausand in endlosen LKW-Kolonnen vom Frachtschiff im Hafen direkt an unserer Pension vorbei zur Baustelle ins Inselinnere gefahren wird. Selbst die Seglerkolonne
im Hafen von Livadia ist vor dem Lärm schon geflüchtet. Und wenn dann auch noch unsere Abflüsse anfangen unangenehm zu riechen, dann ist die Sickergrube wohl fast über gelaufen, und die
Fäkalienabfuhr muss anrücken. Also laut und stinkend ist es hier. Aber das kann man bei der Internetbuchung natürlich nicht sehen, bzw. hören und riechen. Und in ein paar Tagen sieht alles auch
schon viel besser aus.
Wir machen unseren ersten Rundgang durch den Ort, der Eindruck verstärkt sich, dass Tilos im Juni eher ein englisches Seebad ist als eine griechische Insel. Touristen sind fast ausschließlich britische Seniorenpaare, hier sind die Rentner unter sich. Und es ist schon deutlich mehr los als zum Beispiel auf Fourni oder Nisyros. Viele sind Wiederholungstäter, man kennt sich, wird in den Lokalen von der Bedienung per Umarmung und Küsschen begrüßt, und ich frage mich allen Ernstes, ob die sich wirklich alle kennen, oder ob die Umarmung nicht schon allgemein üblich ist, denn man könnte den einen oder anderen ja wirklich kennen und ein Küsschen vergessen. Dann doch lieber alle abknutschen. Man müsste es einfach mal ausprobieren, einfach auf eine fremde Kellnerin beherzt zugehen, dann hätte man seine free hugs, garantiert!
Am Abend trifft man sich auf der Platia oder in einem der vielen Restaurants und Cafés, Englisch hört man überall.
Bei dieser Touristendichte ist die Kapazität etwa der Mietautos auf Tilos begrenzt, und es ist nicht ganz einfach, eins zu ergattern. Der Busfahrplan ist recht ausgedünnt und ein Taxi auf der
Insel fehlt ganz. Wir haben Glück, und können ein Auto für zwei Tage mieten, wobei unsere Nachbarin da weniger erfolgreich ist, das vorgebuchte Auto wird ihr um 3 Uhr in der Nacht per SMS einfach
gecancelt. Tja, auf Tilos kommt manches anders als man denkt.
Was gibt es auf Tilos Wichtiges zu besichtigen?
Wir streifen kurz Mikro Chorio, das verlassene Dorf auf dem Weg nach Megalo Chorio, dem zweiten wirklichen Dorf auf Tilos.
Kurz vor Megalo Chorio biegen wir links ab, dort ist die Charkadio-Höhle ausgeschildert, in der Anfang der 1970er Jahre Zwergelefantenknochen gefunden wurden, die wohl aus der Jungsteinzeit stammen. Wir sind gespannt. Das Gelände scheint gut ausgebaut zu sein, eine breite beleuchtete Zufahrt führt zu einem kleinen Amphitheater, das am Fuße der eigentlichen Höhle liegt. Die Höhle ist leider verschlossen, ebenso wie das kleine Museum nebenan, das man leicht übersehen könnte. Ein Blick durch die große Fensterfront zeigt neben prähistorischen Besen und Feudel die Fotos der Ausgrabungen und einige Vitrinen mit den Fundstücken. Wohl zu wenige Besucher finden im Sommer hierher, als dass es sich lohnen würde, die Stätte zu bewirtschaften.
Das nahe gelegene Megalo Chorio, auf das man von hier einen wunderbaren Blick hat, ist Verwaltungssitz der Insel und ein hübsches Bergdorf mit verwinkelten Gassen und vielen Stufen.
Sehr schön der Blick bis zum Eristos Strand von der Panagia Kirche mit ihrem schwarz-weißen Kieselmosaik.
Unser Weg führt uns weiter an Agios Antonios vorbei, wohl eher ein Ausflugsziel mit einigen Tavernen für den mittäglichen Imbiss, als ein richtiger Ort zum Wohnen. Weiter geht es mit kurzem Blick über den Plaka Strand, an dessen Zufahrtstraße gerade mit schwerem Gerät gearbeitet wird, und der daher auch nicht zum Verweilen einlädt. Selbst die Pfauen haben sich ins Hinterland zurückgezogen, denn hier entsteht die neue Zufahrtstraße zum Strand. Ja, es ist schon wichtig, hier auf der Insel motorisiert zu sein, was sogar die Ziegen wissen.
Und so fahren wir endlich zum schönen Eristos Beach, der unsere Herzen als ehemalige Camper höher schlagen lässt. Tamarisken am Rande bieten Schatten, einige Griechen haben schon hier ihre Zelte aufgeschlagen. Das Areal ist ideal, denn es gibt sanitäre Einrichtungen und in der Nähe sogar eine kleine Strandbar. Und der breite und lange Strand bietet sich für Sonnenanbeter an.
Zum Sundowner suchen wir gerne das Mikro Kafe in Livadia an der Promenade auf, die Dachterrasse macht echt Laune.
Und zum Abendessen ist die Auswahl der Tavernen und Restaurants an der Küste und im Ort riesig, gut gefällt es uns im Nautilos oder in der Taverne Michalis, Sofia´s Restaurant bleibt dieses Jahr wohl geschlossen.
Trotz recht muckeliger Temperatur von über dreißig Grad im Schatten raffen wir uns die nächsten beiden Tage dann doch auf, zwei sehr schöne Wege entlang der Küste zu gehen. Da kommt echtes Kykladenfeeling auf, denn die karge Landschaft erinnert hier stark an meine Lieblingsinseln. Der eine Weg führt die Paralia Richtung Südost entlang, an den Marina Rooms vorbei, bis die Straße in einen Feldweg mündet, der an der romantisch gelegenen Kapelle des Agios Ioannis in den Wanderweg nach Gera übergeht. Es geht eine schöne Strecke die Steilküste entlang, die dann ins Inselinnere bis zu den Ruinen von Gera führt – was wir wegen der Hitze allerdings nicht ganz geschafft haben. Aber man muss ja auch noch Ziele fürs nächste Mal haben.
Der zweite Weg geht am anderen Ende der Bucht von Livadi los, oben an der Straße vom Sea View Hotel, an Annas Studios und am Hotel Irini Ilidi Rock vorbei, wo der Wanderweg zur Lethra Bucht beginnt. Zuerst scheint der Weg durch Erdrutsche stark beschädigt zu sein, aber nach ein- zwei schwierigen Passagen geht es etwa eine Stunde lang immer auf einer Höhe die Küste entlang, bis zum wild romantischen Lethra Strand. Ein Erlebnis der besonderen Art.
Hinter dem Hotel ist der Weg zuerst ziemlich stark beschädigt, da sollte man schon ein wenig schwindelfrei sein. Aber dann wandern wir auf der roten Erdpiste ganz gemütlich zum einsamen Lethra Strand.
Und wir sind fast am Ende unserer Dodekanes Reise, die wir mit zwei Badetagen in Kos Kefalos beenden werden. Aber Tilos wird uns wiedersehen, es sind hier noch einige Wege zu gehen.