Inzwischen ist es Mitte Juni geworden, und ich bin ein wenig skeptisch, ob mir Nisyros wirklich gefallen wird, denn Inseln, die so stark von Tagestouristen frequentiert werden, haben ein ganz
eigenes Flair. Aus fährtechnischen Gründen und dem Verbleib unserer Resturlaubszeit von sieben Tagen hatten wir die Wahl, entweder zwei Tage auf Nisyros und fünf Tage auf Tilos zu verbringen,
oder umgekehrt fünf Tage auf Nisyros und zwei Tage auf Tilos. Oder halt eben sieben Tage auf einer Insel. Wir entschieden uns für zwei Tage Nisyros, was natürlich für solch eine Insel viel zu
kurz ist.
Das Wetter ist wieder schlechter geworden, graue dicke Wolken hängen über Mandraki als wir anlegen. Einige Ausflugsboote von Kos haben noch im Hafen festgemacht, Maria vom Hotel Porfyris
übernimmt mit ihrem PKW den Koffertransport für uns und noch ein paar andere Gäste, die mit der Fähre gekommen sind. Zu Fuß gehen wir durch das Dorf, an dem nicht sehr einladenen Mike´s Place
vorbei bis zum Piccolo Café, dann links ab bis zum Hotel.
Ein erster Erkundungsgang durch Mandraki lässt Zweifel aufkommen. Tagestouristen? Fehlanzeige, kaum ein Mensch ist zu sehen, und die Einheimischen, denen wir begegnen, grüßen nicht einmal zurück, das kennen wir von Lipsi und Fourni anders, aber vielleicht liegt es ja auch nur am Wetter. Selbst die sonst scheuen Katzen gucken lethargisch, sehen etwas verfroren aus und reagieren kaum. Nur ein paar Jungs haben den Rathausplatz zum Bolzplatz gemacht, sonst herrscht gähnende Leere – auch in den Restaurants an der Paralia. Wir stöbern aus Langeweile ein wenig im ersten Kaufhaus der Insel, im „To proto“, wo es alles, aber wirklich auch Alles gibt, und bewegen uns zum Dorfplatz, der Platia Ilikiomeni, bleiben in Andrikos Kafenion hängen, einem Kafenion mit großer Tradition, wie wir später erfahren, wir sind die einzigen Gäste.
Andrikos ist neugierig, hat Langeweile bei dem Schietwetter, fragt uns nach woher und wohin. „Ah, Deutschland, mein Vater war dort lange Zeit im Ruhrgebiet als Bergmann, hat Kohle gehauen, ich glaube in Herne…“ Und er schwärmt von der Insel, „die Früchte, die hier wachsen sind so lecker, probiert mal“ und schiebt uns ein gurkenartiges Gewächs herüber, das eher so süß schmeckt wie eine Melone. Gut, zum Bier jetzt halt nicht so ideal.
Generell scheinen sehr wenige Touristen auf der Insel zu sein. Wir wechseln zum Essen ins benachbarte Restaurant Vegos – schnell vorbei an der kobernden Irinis – und staunen über die Speisekarte in sechs Sprachen, von Griechisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Polnisch und Russisch ist alles dabei, nur das Speisenangebot ist eher spärlich griechisch. Als Höhepunkt des Abends lernen wir im Lokal ein sympathisches älteres britisches Paar kennen, das auch in unserem Hotel wohnt und das seit über 30 Jahren jedes Jahr seinen Sommer auf Nisyros verbringt und von der Insel ganz begeistert ist. Ja, Nisyros hat schon viele treue Fans! Am nächsten Morgen scheint zum Glück wieder die Sonne, da sieht selbst der Ortsfriedhof freundlich aus, und die Reihe der Fahnen im Hafen flattern freudig im Wind.
Wir mieten uns ein Auto direkt am Anleger bei Diakomihalis und fahren die Küste entlang, vorbei an der Bäderruine in Loutra bis zum kleinen Hafenort Pali. Eigentlich ganz malerisch, ein beschauliches Fleckchen mit einigen Restaurants und einem netten Ortsstrand. Jedoch das üppige Angebot der örtlichen Auto- und Mopedvermieter lässt erahnen, dass auch Pali bald aus seinem Dornröschenschlaf erwachen wird. Und im Vergleich zu den uns bekannten kleinen Kykladeninseln ist auch hier für Mitte Juni noch der Hund begraben. Trotzdem, Pali gefällt mir, und es ist sicherlich auch eine gute Wahl für ein paar ganz erholsame Urlaubstage.
Weiter geht es die Küste entlang, vorbei an der Ruine des Kurhotels, die mit den roten Dachziegeln von Weitem eigentlich ganz intakt aussieht, aber doch nur ein Skelett ist. Die Sonne meint es
gut, und so wollen wir einen Badetag einlegen, am Liés oder Pachia Ammos Strand, passieren ein paar unaufgeregte Ziegen und befinden uns offenbar auf dem Geotrail Nr. 8 von Pali nach Liés. Ein
Blick ins Internet zeigt uns einen kleinen Wanderführer, in dem einige Geotrails aufgelistet sind, insgesamt 10 Wege auf Nisyros. Da weiß man, was beim nächsten Besuch ansteht.
Leider meint es Aiolos nicht so gut wie Helios, am Pachia Ammos bläst er uns quasi weg, und so bleiben wir lieber am etwas geschützteren Liés.
Die weiteren Inselerkundigungen am jetzigen und morgigen Tag werden eine Mischung aus „must see“ und interessanten Fotomotiven, wie das Heilige Kloster Spiliani, das alte Kastro oberhalb von Mandraki, eine Restaurierung, die 2010 noch von der EU ausgezeichnet wurde, jetzt aber nicht sehr gepflegt aussieht, Kassenhaus und Toiletten geschlossen, an Eintrittsgeldern ist hier wohl niemand mehr interessiert.
Natürlich sind zwei Tage viel zu kurz, aber es reicht gerade für weitere Motive rund um das jetzt sonnige Mandraki, vom morbiden Charme des halbverfallenen Emborio, dem imposanten Stefanos Krater, alles von Allen schon mal fotografiert, nur noch nicht von mir.
Auch ein Abstecher zu dem malerischen Ort Nikia darf nicht fehlen.
Nach gut zwei Wochen Griechenland gelüstet es uns am Abend nach einer deftigen Pizza, die wir bei Davide im Bacareto hervorragend bekommen. Davide ist Koch, kommt aus Venedig und lebt schon lange
auf Nisyros, wir kommen ins Gespräch, und er lässt ganz gerne seinen Inselfrust bei uns ab. Es ist das, was auch spontan mein Eindruck war: die mehr als tausend Touristen fallen Tag für Tag für
ein paar Stunden von Kos kommend über die Insel her (was wir hautnah noch am nächsten Morgen zu spüren bekommen), die Inselbewohner akzeptieren das, wissen es aber nicht positiv für sich zu
nutzen, bieten lediglich billige Souvenirs, Eis und Verpflegung an. Das schnelle Geld ist angesagt, ein nachhaltiger Qualitätstourismus nicht gefragt. Davides Traum wäre es, sich mit gehobener
Küche hier selbständig zu machen, irgenwann wird es klappen. Denn in Sachen Infrastruktur hapert es laut Davide an allen Ecken und Enden, es gibt keine konstante Strom- und Wasserversorgung, und
Wikipedia schreibt: „Die Erschließung der zweitgrößten Geothermie-Lagerstätte Griechenlands scheiterte bisher an Vorbehalten und am Widerstand der Bevölkerung.“ Vertane Chance.
Lediglich das Internet wurde auf der Insel in letzter Zeit ausgebaut, entlang der Verkehrswege wurden Kabel verlegt, und ab und an sieht man heute noch einige Trupps, die an den Knotenpunkten mit
ihren Laptops unterm Sonnenschirm schrauben und installieren.
Nisyros hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck: Eine Insel von atemberaubender Schönheit, die es lohnt, wieder besucht zu werden, und andererseits eine Insel mit massiven Problemen, dem Tagestourismus, der innerhalb der zwei oder drei Sommermonate meines Erachtens mehr schadet als nützt und ab Oktober große Lücken hinterlässt. Und so wälzen wir uns am nächsten Tag durch die noch - oder schon - vorhandenen Touristenmassen zum Hafen und warten später auf unsere Fähre, die uns nach Tilos bringt.